Call for Papers

Sprachen der Migration im romanischen Schulsprachenunterricht (MIRO):

Von sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen zur didaktischen Anwendung

19.2.2025, 18 Uhr – 22.2.2025, 13 Uhr am Institut für Romanistik der Universität Wien

 

Schüler*innen, die mit dem Lernen einer romanischen Sprache beginnen, sind den meisten Ländern Europas bereits mehrsprachige Menschen, so auch in Österreich. Neben der Unterrichtssprache und dem häufig als erste lebende Fremdsprache unterrichteten Englischen haben sie oft auch Kenntnisse in einer oder mehreren Familiensprachen (oder Varietäten derselben), die auf die Migration ihrer El­tern oder Großeltern zurückzuführen sind. In Wien haben beispielsweise mehr als die Hälfte der Wie­ner Schüler*innen eine andere Familiensprache als Deutsch.[i] Wiewohl Mehrsprachigkeit und  sprach­vergleichende Herangehensweisen in Österreich im Lehrplan der (ersten und weiteren) lebenden Fremdsprache verankert[ii], von der europäischen Sprachenpolitik (zuletzt Conseil de l’Europe 2022) so­wie von Linguist*innen und Didaktiker*innen empfohlen sind (Candelier 2012, Koch und Rückl 2022, Krifka & al. 2014, Reich & Krumm 2013; zur Migrationslinguistik siehe auch Koch & Riehl 2024), setzt das schulische (Fremd‑)Sprachenlehren die Erkenntnisse der zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen im Bereich Mehrsprachigkeitsforschung und -didak­tik (noch) nicht in entsprechendem Maße um (Fernandéz Ammann/Kropp/Müller-Lancé 2015, 10). Am häufigsten haben Bezüge auf Erstsprachen im Fach Deutsch (als Zweitsprache) und zum Teil Englisch Eingang in den schulischen Unterricht gefunden (Fäcke & Meißner 2019, 451-464; 485-493.).

Die Berücksichtigung sogenannter Erst- oder Herkunftssprachen[iii] (cf. z.B. Brehmer & Mehlhorn 2018) lebensweltlich mehrsprachiger Schüler*innen im fremdsprachlichen Unterricht – auch der romani­schen Sprachen – wird erst in den letzten Jahren intensiver beforscht und kann als Paradigmenwech­sel gesehen werden (Martinez 2015, 9; Garcia Garcia & Reimann 2020, 14). Dabei ist bekannt, dass der bewusste Vergleich der Erstsprachen auch mit den romanischen Schulsprachen von großer Bedeutung für die Lernmotivation und den Lernerfolg der Schüler*innen ist (Fernandéz Ammann/Kropp/Müller-Lancé 2015, 11). Diesen Bedarf an der Vernetzung von herkunftssprachlicher Mehrsprachigkeit und den romanischen Schulsprachen möchte das interdisziplinär angelegte Projekt MIRO – Sprachen der Migration im romanischen Schulsprachenunterrichtvor dem Hintergrund sprachwissenschaftlicher und didaktischer Forschung thematisieren und dabei auch anwendungsbezogen umsetzen. Dafür wird von 19. bis 22. Februar 2025 (am 21. Februar ist der Internationale Tag der Muttersprache) an der Univer­sität Wien eine auf dieses Vorhaben ausgerichtete dreitägige Konferenz stattfinden. Da in der Literatur besonders das Fehlen von Qualifikation, Erfahrung und mehrsprachigkeitsorientierten Materialien und Verfahren auf Seiten der Lehrenden, die diesen Mangel selbst beklagen, moniert wird  (zusammenfas­send dazu Kropp, 2013, 167), ist den Veranstalterinnen – neben der Aufarbeitung aktueller Trends in der Mehrsprachigkeitsforschung und -didaktik und konkreten sprachlichen Vergleichen – die didakti­sche Anwendbarkeit in Form von konkreten Unterrichtsvorschlägen und Aufgabenbeispielen beson­ders wichtig.

Ausgehend von den zehn in Österreich häufigsten Sprachen der Migration[iv] möchten wir Sprachwis­senschaftler*innen und Didaktiker*innen aufrufen, sehr gerne auch in Teams, kontrastiv angelegte Sprachskizzen (Phonologie, Morphosyntax, Lexikon, Pragmatik) auszuarbeiten, welche  die Vernetzung von Herkunftssprachen und romanischen Schulsprachen (Französisch, Spanisch, Italienisch) deutlich machen (cf. auch Krifka et al. 2014, Fiorentini et al. 2020 für ein ähnliches, aber v.a. auf den Kontrast mit dem Deutschen ausgerichtetes Vorhaben).

Ein weiteres Ziel ist es, diese verbindenden Gegenüberstellungen durch Unterrichtsvorschläge, Aufga­benbeispiele und geeignetes Anwendungsmaterial zu ergänzen, welche die Vernetzungen erfahrbar machen und im schulsprachlichen Unterricht je nach Mehrsprachigkeitshintergründen der Schü­ler*innen sinnvoll eingesetzt werden können.

Besonders wichtig ist uns mit dem Projekt MIRO also, linguistische Erkenntnisse mit der Expertise fach­didaktischer Umsetzungserfahrung zu verbinden. 

Als kontextuelles Rahmenprogramm werden mehrere Wissenschaftler*innen eingeladen, zu umfas­senderen Themen der Mehrsprachigkeitsforschung und -didaktik Plenarvorträge zu halten, etwa zu den neurolinguistischen und psycholinguistischen Grundlagen von Mehrsprachigkeit (cf. z.B. Sambanis 2014, Riehl 2013), zu Mehrsprachigkeit und Didaktik der Ro­manischen Sprachen im Allgemeinen (vgl. Reimann 2023, Ammann et al. 2015, Koch & Rückl 2022) sowie Mehrsprachigkeit im Kontext des österreichischen Bildungssystems im Besonderen (vgl. Wojnesitz 2010, Vetter 2012, 2013). Als Keynote-Sprecher*innen haben bereits zugesagt:

  • Jun.-Prof. Dr. Lukas Eibensteiner (Universität Jena)
  • Prof. Dr. Daniel Reimann (Humboldt-Univ. Berlin)
  • Prof. Dr. Claudia Riehl (LMU München)
  • Prof. Dr. Michaela Sambanis (FU Berlin)
  • Prof. Dr. Eva Vetter (Universität Wien)

 

Das Vorhaben lässt sich auf folgende Bereiche aufteilen, wobei dieser Aufruf die Bereiche (2) und (3) abdecken soll und kooperative Unternehmungen zwischen (2) und (3) besonders gewünscht sind:

  1. Abgedeckt durch die Keynote-Sprecher*innen: Allgemeine Themen der (romanischen) Mehrsprachigkeitsforschung und Didaktik (mit Österreichbezug)
  2. Kontrastive Sprachskizzen bzw. Sprachvergleiche, die in geeigneter Weise auf die/eine der ro­manischen Sprachen Bezug nehmen.
  3. Didaktisches Anwendungsmaterial

 

Die abzudeckenden Migrationssprachen sind:

  • Türkisch                        
  • BKS                  
  • Arabisch          
  • Russisch/Ukrainisch   
  • Rumänisch     
  • Albanisch                      
  • Ungarisch       
  • Englisch           
  • Polnisch                        
  • Kurdisch

Für die Plenarvorträge (1) sind jeweils 60 Minuten (45 Minuten Vortrag, 15 Minuten Diskussion) vor­gesehen, für Vorträge aus (2) und (3) sind jeweils 30 Minuten (20 Minuten Vortrag und 10 Minuten Diskussion). Vorträge, die ganz besonders auch von Teams gehalten werden können,  die (2) und (3) verbinden, haben ebenfalls 60 Minuten (45 Minuten Vortrag, 15 Minuten Diskussion) zur Verfügung.

Ein längerfristiges Ziel von MIRO ist die Publikation eines besonders für den österreichischen Kontext konzipierten Bandes, der auch konkrete Aufgabenbeispiele und didaktische Ideen umfasst. Zielgruppe des Werkes sind v.a. Fremdsprachenlehrer*innen, Fachdidaktiker*innen, Lehramtsstudierende, Lehr­buchautor*innen, Erstsprachenlehrer*innen sowie Entscheidungsträger*innen in der Bildungspolitik.

Wir freuen uns daher über Vorschläge für Vorträge zu den Bereichen der kontrastiven Sprachskiz­zen/Sprachvergleiche und des didaktischen Anwendungsmaterials. Bitte schicken Sie Ihr Abstract als Word-Dokument und PDF (max. zwei A4-Seiten, die Literaturangaben nicht mit eingerechnet; Times New Roman 12pt, einfacher Zeilenabstand) bis 15. (NEU!) 30. September 2024 an die unten genannte Konferenz- Adresse. Geben Sie dabei auch an, ob Ihr Vortrag in Bereich (2), (3) oder (2+3) angesiedelt ist.

Konferenz- Adresse: miro.romanistik@univie.ac.at

Im Rahmen der Konferenz wird auch eine Poster-Session (in einer gesonderten Ausschreibung) statt­finden, die sich ganz besonders an Nachwuchswissenschaftler*innen richtet.

Als Konferenzsprache ist das Deutsche vorgesehen.

Eva-Maria Remberger und Alexandra Kristinar-Wojnesitz (Universität Wien, Institut für Romanistik)


Bibliographie


  • Brehmer, Bernhard & Grit Mehlhorn (2018). Herkunftssprachen. Tübingen: Narr/Francke/Attempto (Linguistik und Schule 4: Von der Sprachtheorie zur Unterrichtspraxis).
  • Candelier, Michel (coord.) (2012). Le CARAP. Un Cadre de Référence pour les Approches Plurielles des Langues et des Cultures. Compétences et ressources. Strasbourg: Conseil de l’Europe. https://www.ecml.at/Portals/1/documents/ECML-resources/CARAP-FR.pdf?ver=2018-03-20-120658-740
  • Conseil de l’Europe (2018). Cadre Européen Commun de Référence pour les Langues: Apprendre, Enseigner, Évaluer. Volume Complémentaire avec de nouveaux descripteurs. Strasbourg: Conseil de l’Europe. https://rm.coe.int/cecr-volume-complementaire-avec-de-nouveaux-descripteurs/16807875d5 .
  • Conseil de l’Europe (2022). L’importance de l’éducation plurilingue et interculturelle pour une culture de la démocratie. https://www.ecml.at/Portals/1/documents/about-us/Recommendation%20and%20EM%20FR%20FINAL.pdf
  • De Cillia, Rudolf (192017). Spracherwerb in der Migration. Informationsblätter zum Thema Migration und Schule 3. Wien: Bundesministerium für Bildung (BMB). https://pubshop.bmbwf.gv.at/index.php?rex_media_type=pubshop_download&rex_media_file=272_info3_16_17.pdf
  • Eibensteiner, Lukas, Kropp, Amina & Johannes Müller-Lancé (2022). Herkunftssprache meets Fremdsprache. Eine empirische Studie aus dem universitären Anfangsunterricht Spanisch. In: Schöpp, Frank/Willems, Aline (Hrsg.): Didaktik der romanischen Sprachen und Inklusion: Rekonstruktion oder Erneuerung? Stuttgart: Ibidem, S. 83-122.
  • Fäcke, Christiane & Franz-Joseph Meißner (Hgg.) (2019). Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag.
  • Fernández Ammann, Eva Maria, Kropp, Amina & Johannes Müller-Lancé (2015): Herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen: Herausforderungen und Chancen. Berlin: Franck & Timme.
  • Fiorentini, Ilaria, Chiara Gianollo & Nicola Grandi (eds.) (2020), La classe Plurilingue. Bologna: Bononia University Press [https://buponline.com/prodotto/la-classe-plurilingue/?v=c860970b6ab6].
  • García, Ofelia & Wei, Li. (2014). Translanguaging: Language, Bilingualism, and Education. New York: Palgrave MacMillan.
  • Garcia Garcia, Marta & Daniel Reimann (2020). Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen – Forschungsstand und neue Konzepte zur Vernetzung von Schulsprachen und Herkunftssprachen in der Migrationsgesellschaft. In: Garcia Garcia, Marta, Prinz, Manfred & Daniel Reimann, Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen. Neue Konzepte und Studien zu Schulsprachen und Herkunftssprachen in der Migrationsgesellschaft. Tübingen: Narr (Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung 16), 11-27.
  • Koch, Corinna & Michaela Rückl (2022) (Hgg.). Au carrefour de langues et de cultures. Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität im Französischunterricht. Stuttgart: Ibidem (Französischdidaktik im Dialog 7).
  • Koch, Nikolas & Riehl, Claudia Maria (2024): Migrationslinguistik. Eine Einführung. Tübingen: Narr Francke Attempto.
  • Krifka, Manfred, Blaszczak, Joanna, Leßmöllmann, Meininger, André, Stiebels, Barbara, Tracy, Rosemarie, Truckenbrodt, Hubert (Hgg.) (2014) Das mehrsprachige Klassenzimmer. Über die Muttersprachen unserer Schüler. Berlin, Heidelberg: Springer.
  • Kropp, Amina (2020), „Sprachenvernetzung als Ressource?“ Eine Interviewstudie mit Lernenden und Lehrenden zu herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit und mündlichem Produktionstransfer im schulischen Fremdsprachenunterricht. In Garcia Garcia, Prinz & Reimann (2020), 159-190.
  • Martinez, Hélène (2015). Mehrsprachigkeitsdidaktik: Aufgaben, Potenziale und Herausforderungen. Fremdsprachen Lehren und Lernen 44/2, 7-19.
  • Montrul, Silvina & Maria Polinsky (2021) (eds.): The Cambridge Handbook of Heritage Languages and Linguistics. Cambridge: Cambridge University Press.
  • Polinsky, Maria (2018): Heritage Languages and their Speakers (Cambridge Studies in Linguistics, Band 159). Cambridge: Cambridge University Press.
  • Reich, Hans H. & Hans-Jürgen Krumm (2013). Sprachbildung und Mehrsprachigkeit. Ein Curriculum zur Wahrnehmung und Bewältigung sprachlicher Vielfalt im Unterricht.
  • Reimann, Daniel (2023). Ein mehrdimensional-integrierendes Modell der Mehrsprachenaneignung - Ein Vorschlag zur theoretischen Weiterentwicklung der Mehrsprachigkeitsdidaktik. In: Eibensteiner, Lukas, Kropp, Amina, Müller-Lancé, Johannes & Claudia Schlaak (Hgg.). Neue Wege des Französischunterrichts: Linguistic Landscaping und Mehrsprachigkeitsdidaktik im digitalen Zeitalter (Romanistische Fremdsprachenforschung und Unterrichtsentwicklung) 23. Tübingen: Narr, 25-74.
  • Riehl, Claudia Maria (2014): Mehrsprachigkeit. Eine Einführung. Darmstadt: WGB.
  • Sambanis, Michaela (2013). Fremdsprachenunterricht und Neurowissenschaften. Tübingen: Narr Francke Attempto.
  • Vetter, Eva (2012): Teachers of Italian, Spanish and French. Limitations and possibilities of their education towards multilingualism. In: European Studies 29, 189-212.
  • Vetter, Eva (2013): Sprachliche Bildung macht den Unterschied. Sprachen in schulischen Lehrkontexten. In: Vetter, Eva (Hg.): Professionalisierung für sprachliche Vielfalt. Perspektiven für eine neue LehrerInnenbildung. Schneider: Hohengehren, 238-258.
  • Wojnesitz, Alexandra (2010): "Drei Sprachen sind mehr als zwei": Mehrsprachigkeit an Wiener Gymnasien im Kontext von Migration. Münster, New York: Waxmann Verlag

[i]Vgl. https://www.integrationsfonds.at/mediathek/mediathek-publikationen/publikation/wien-l-zahlen-daten-und-fakten-1-6094/

[ii] Beispielsweise im österreichischen Lehrplan der lebenden Fremdsprache der Allgemeinbildenden höheren Schule unter dem Punkt „Reflektierender Sprachenvergleich“
(https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008568).

[iii] In der englischsprachigen Linguistik hat sich mittlerweile der aus dem nordamerikanischen Kontext stammende Begriff heritage languages, ins Deutsche übersetzt als „Herkunftssprachen“, durchgesetzt (cf. z.B. Polinsky 2008, Montrul & Polinsky 2021). Zur unterschiedlichen Terminologie in der Didaktik und Linguistik im deutschen Sprachraum: In Österreich wird der Terminus „Erstsprachenunterricht“ präferiert (siehe https://www.schule-mehrsprachig.at/ und De Cillia 2017), während in Deutschland der Ausdruck „herkunftssprachlicher Unterricht“ (HSU) (siehe Deutsches Schulportal https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/herkunftssprachlicher-unterricht-eine-frage-der-bildungsgerechtigkeit/ und Brehmer & Mehlhorn 2018)  üblich ist und in der Schweiz der Terminus „Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur“ (HSK) https://hsk-info.ch/index.php/ch-bs/hsk-bs/unterricht-in-heimatlicher-sprache-und-kultur-hsk verwendet wird.